BFH, Urteil vom 19.02.2013 - II R 47/11
Häufig wählen Ehegatten bei der Gestaltung ihrer Erbfolge das sog. Berliner Testament. Die Absicherung des überlebenden Partners kann auf verschiedene Weise erreicht werden. Wird er als Alleinerbe eingesetzt, gehen die Kinder beim Tod des erstversterbenden Elternteils leer aus. Sie sollen erst zum Zuge kommen, wenn auch der zweite Elternteil verstirbt. Der gesetzlich vorgesehene Pflichtteil steht ihnen zwar auch beim ersten Erbfall zu, wird bei intakten Familienverhältnissen aus Rücksicht auf den verwitweten Elternteil aber in der Regel nicht geltend gemacht. Verstirbt nun auch der zweite Elternteil und sind die Kinder als dessen Erben eingesetzt, geht das Vermögen vollumfänglich auf sie über.
Im vorliegenden Fall hatten die Eheleute ein gemeinsames Kind (Tochter). Der Vater verstarb im Jahr 2003; er wurde von seiner Ehefrau allein beerbt. Diese verstarb kurze Zeit später im Jahr 2004. Ihre Erbin wurde das Kind. Dieses teilte darauf dem Finanzamt mit, sie mache als Tochter ihres verstorbenen Vaters den Pflichtteil geltend.
Naturgemäß hat das Kind nach dem Tod des länger lebenden Elternteils ein Interesse daran, den Pflichtteilsanspruch nach dem erstverstorbenen Elternteil geltend zu machen, da dadurch die Belastung durch die Erbschaftsteuer reduziert werden kann. Nach § 10 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 Nr. 2 ErbStG reduziert ein geltend gemachter Pflichtteilsanspruch den steuerpflichtigen Erwerb.
In zivilrechtlicher Hinsicht ist der Pflichtteilsanspruch aber infolge einer sog. Konfusion (Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit) erloschen. Eine Konfusion ist eingetreten, da die ursprünglich zur Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs Verpflichtete (Mutter) verstorben ist und die entsprechende Verbindlichkeit auf das Kind als Erbin der Mutter übergegangen ist. Gläubiger und Schuldner des Anspruchs sind somit identisch. Denn: Das Kind ist Erbe nach der Mutter und Pflichtteilsberechtigter nach dem Vater. Allerdings gilt in erbschaftsteuerlicher Hinsicht grundsätzlich die Fiktion des Fortbestands von solch zivilrechtlich erloschenen Rechtsverhältnissen (§ 10 Abs. 3 ErbStG). Aufgrund dieser unterschiedlichen Betrachtungsweisen des Zivil- bzw. Steuerrechts war bislang strittig, ob in der geschilderten Konstellation die nachträgliche Geltendmachung des Pflichtteils erbschaftsteuermindernd zu berücksichtigen ist.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun in seinem Urteil vom 19.02.2013 entschieden, dass die Geltendmachung zu beachten ist. Das Erbschaftsteuerrecht folgt hinsichtlich der Konfusion auch bei der fiktiven Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nicht der zivilrechtlichen Beurteilung. Trotz der Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit in der Person des Kindes kann dieses die Geltendmachung des Pflichtteils fiktiv nachholen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Pflichtteilsanspruch – wie vorliegend – noch nicht verjährt war.
Durch die nachträgliche Berücksichtigung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Vater reduzierte sich die festzusetzende Erbschaftsteuer für die Tochter um gut € 26.000! Ein schönes Beispiel also, dass nicht nur bei der Errichtung eines Testaments professioneller Rat sinnvoll ist, sondern dass auch bei vermeintlich klaren Nachlassfällen durch die richtige Beratung Geld gespart werden kann.
Autor: Benjamin Schmidt, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht in München und Konstanz